Selbstbestimmung in medizinischen Belangen

Die Forderung nach Selbstbestimmung in medizinischen Belangen wird wieder modern …

Oberflächlich betrachtet geht es dabei ja „nur“ um das Recht selbst bestimmen zu können, was medizinisch geschehen soll. Aber eben nur bei flüchtiger Betrachtung. Ginge es nämlich nur darum, was jemand selbst tun oder unterlassen möchte, bräuchte es keine Diskussion, denn jeder kann, darf und soll auch selbst über seine Gesundheit und über sein Leben entschei­den. So wie jeder im Allgemeinen selbst entscheidet ob er raucht, Alkohol oder Drogen konsumiert, übergewichtig ist, keine Bewegung macht usw. usf. oder eben diese Dinge nicht tut oder nicht zulässt, weil sie negative Auswirkungen auf seine Gesundheit haben. Die Diskussion um Selbstbestimmung findet statt, wenn möglichst unbemerkt Forderungen an andere transportiert werden sollen; was man ja nicht gerne offen sagt.

Während man Selbstbestimmung immer nur einseitig darstellt, nämlich mit Bezug auf den Bestimmenden, kann sie doch auch anderweitige Folgen haben.

Diskussion um „Abtreibungsparagraph“

Vor 40 Jahren gab es eine Diskussion um den § 144 StGB. Auch damals wurde nur mit Selbstbestimmung der Frauen argumentiert, ohne auf Ärzte Rücksicht zu nehmen, die dieses Selbstbestimmungsrecht zu exekutieren haben. Da­mals wie heute ist diese Selbstbestimmung mit der stillschweigend vorausgesetzten Forderung an Ärzte verbunden, den Schwangerschaftsabbruch (für manche Krankenhäuser sogar selbstverständlich) durchzu­führen. Die ethische und menschliche Einstellung der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen (müssen) ist von der legalisierten rechtlichen Einstellung ebenso völlig verdrängt worden, wie es die Legislative nicht als ihre Aufgabe sah, das Wohl der heute selbstbestim­menden Frauen auch für die Zukunft noch zu schützen. Abgesehen davon, ob oder welche trauma­tischen Folgen für eine Frau entstehen, die einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lässt, sei bemerkt, dass diesen Frauen im Allgemeinen die Möglichkeit des „Wieder gut Machens“ bleibt, später einmal ein oder mehrere gesunde Kinder auf die Welt zu bringen.

Diskussion um straffreie Sterbehilfe

Heute wird in der Diskussion um Sterbehilfe wieder das Selbstbestimmungsrecht bemüht. Gleichzeitig wird wiederum von Ärzten stillschweigend etwas verlangt: nämlich, soll der Vollzug der Tötung schmerzlos und „angenehm“ erfolgen. Anderenfalls werden Juristen einen Weg finden die Ärzte wegen „unsachgemäßer Tötung“ anzuklagen.

Wenn Tötung aber einmal exekutiert wurde, gibt es kein „Wieder gut machen“ mehr. Nicht für den Patient, nicht für seine Angehörigen, die das zugelassen, unterstützt oder gar verlangt haben und nicht für den Arzt, der einen beacht­lichen Anteil daran hat.

Empfehlung an Ärztevertreter

Nach meiner Meinung  sollten Ärztevertreter fordern – wenn sie sich schon an der nicht medizinischen, sondern rein politischen, ethischen und rechtlichen Diskussion um Sterbehilfe beteiligen –, dass jedes Mal wenn von Selbstbestimmungsrecht die Rede ist, gleichzeitig die Pflicht zur alleinigen Eigenverantwortung des Betroffenen artikuliert wird.

Alleinige Eigenverantwortung bedeutet, bezahlen zu müssen, was man in selbstbestimmender Weise verlangt oder verursacht. Es bedeutet aber auch alle anderen Konsequenzen selbst zu tragen, die sich durch Ausüben der Selbstbestimmung ergeben. Das beginnt bei der Suche nach jemandem, der bereit ist dem Verlangen zu entsprechen bis hin mit eventuell später auftretenden, quälenden Gewissensbissen und Selbstvorwürfen fertig zu werden.

Würden Ärzte nicht vorgeben die alleinige Kompetenz für (gesundes) Leben zu besitzen, sondern vermitteln, keineswegs immer zu wissen, was für einen Patienten gut oder richtig ist, könnten und müssten Betroffene ihr Selbstbestim­mungsrecht samt der damit verbundenen Eigenverantwortung ausüben. Ärzte müssten dann „nur mehr“ akzeptieren, was der Patient möchte und ihn – sofern er das wünscht – geriatrisch-palliativ mit angst- und schmerzbefreiender Therapie begleiten. Derart würden Ärzte wieder ihrer eigentlichen Aufgabe nachkommen – zu helfen, wo Genesung nicht mehr möglich ist. Auch könnte mit mehr Transparenz von ärztlicher Seite ärztliches Handeln wieder zurückgedrängt werden, das lediglich auf der Raison von „defensive medicine“ basiert.

Selbstbestimmung in der Pflege

Jetzt hört man auch von Selbstbestimmung in der Pflege – womit wahrscheinlich gemeint ist, Pflegebedürftige sollen selbst bestimmen (fordern) dürfen welche Art von Pflege (institu­tionell oder daheim, stundenweise oder 24-h-Betreuung) ihnen die Allgemeinheit zu bezahlen hat. Auch hier ist wieder nur von Selbstbestimmung die Rede. Eigenverantwortung wird wieder durch niemanden, von niemandem und in keiner Form eingefordert – nicht einmal in Form von gesundem, maßvollem Lebensstil unter minimal-hygienischen Voraussetzungen. Bevor man Selbstbestimmung in der Pflege diskutiert, ist mit zu berücksichtigen ob eine 150 kg schwere Person zu waschen ist, oder ob eine bis auf die Knochen abgemagerte, nur mehr 35 kg schwere Person Hilfe braucht, ob das Zuhause des Selbstbestimmenden eine professionelle Versorgung überhaupt ermöglicht, sowie alle anderen – notwendigen – Begleiterscheinungen mit zu berücksichtigen sind, die nicht den Selbstbestimmenden betreffen.

Nur nach Recht auf Selbstbestimmung zu verlangen und davon ausgehen, dass sich daraus ergebende Konsequenzen von anderen getragen werden (müssen), das können sich auch die westlichen Gesundheits- und Sozialsysteme nicht mehr leisten.

Tipp: Selbstbestimmung sollte stets mit der uneingeschränkten Pflicht zur Eigenverantwortung der Betroffenen genannt werden und auch einhergehen.

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