Wer kein Pflegefall sein will

Viele Menschen möchten sich mit einer Patientenverfügung absichern, um im Alter nicht jahrelang als Pflegefall am Leben erhalten zu werden. Das ist auch möglich, wenn man dabei einiges bedenkt.

Bei Behörden und im Internet bekommt man kostenlos Information und Muster für Patientenverfügungen. Aber man muss sich mit dem Thema länger beschäftigen als nur einmal ein Formular auszufüllen oder den gesetzlichen Erfordernissen für eine verbindliche Patientenverfügung zu entsprechen.

Die Dauer der Pflegebedürftigkeit im Alter beträgt heute durchschnittlich 8, 9 oder 10 Jahre (je nach Quelle). Doch nicht jeder Betagte wird zum Pflegefall und nicht bei jedem Pflegefall wird seine Patientenverfügung wirksam. Solange jemand – auch als Pflegefall – seinen Willen noch selbst bilden kann und ihn äußern kann, muss er jeder medizinischen Behandlung persönlich zustimmen oder sie persönlich ablehnen. Das bedeutet, man sollte rechtzeitig beginnen, sich zu überlegen wann man welcher ärztlichen Empfehlung nicht mehr wird folgen wollen. Niemand weiß heute was morgen medizinisch möglich sein wird. Kein Notar, kein Arzt und natürlich kann das auch der Betroffene nicht voraussehen. Aber auch niemand anderer als er selbst kann wissen, unter welchen Umständen er nicht mehr wollen wird, mit allen möglichen Medikamenten am Leben erhalten zu werden.

Es ist nur zu gut verständlich, dass niemand vorhersagen kann, wann er welche Maßnahme wird ablehnen wollen. Das ist keine Entscheidung, die unvorbereitet von einen Tag auf den anderen fallen kann. Es ist dies ein Prozess, der bei jedem Mensch anders verläuft – denn Gedanken und Meinungen sind unterschiedlich und sie ändern sich im Laufe der Zeit mit der eigenen Biographie.

Mit einer Patientenverfügung legt man als Gesunder im Voraus fest, welche Maßnahme man hoffentlich viel später einmal nicht mehr zulassen will, wenn zum Beispiel eine Besserung oder Heilung eines Zustandes nicht mehr möglich erscheint. Diese Situation liegt wahrscheinlich in weiter Ferne und es ist auch gar nicht sicher, dass sie überhaupt jemals eintreffen wird. Eine Patientenverfügung zu erstellen ist also nur der erste Anfang von Überlegungen, die man alljährlich einmal anstellt, um seinen Weg zwischen Selbstbestimmung und Patientenautonomie auf der einen Seite und der Milliardenindustrie Pflege- und Gesundheitswesen auf der anderen Seite zu finden, damit das Grundrecht auf Leben nicht zur Pflicht wird so lange leben zu müssen, als andere glauben Natur und Schicksal bezwingen zu können. Auf diesem Weg lernt man auch, wann man selbst welcher medizinischen Maßnahme noch zustimmt und ab wann man welche ärztliche Empfehlung ablehnt.

Sollte die Situation dann tatsächlich eintreten, dass die Patientenverfügung wirksam werden wird, weil man seinen Willen nicht mehr bilden kann oder äußern kann, dann werden alljährliche Aktualisierungen und Erneuerungen der Patientenverfügung für Angehörige, für behandelnde Ärzte und für Richter Zeugnis darüber ablegen, dass der Betroffene mit seiner Patientenverfügung nicht leichtfertig verlangte, sein Leben zu Ende gehen zu lassen.

Wer also bereit ist, sich über den Umweg einer Patientenverfügung Gedanken über seinen Lebensabend zu machen – und nicht nur, wie es bisher üblich war – zu bestimmen, welche Behandlung er ablehnt, wenn der Sterbeprozess bereits begonnen hat, der kann damit auch verhindern im Alter jahrelang als Pflegefall am Leben erhalten zu werden. Strukturen und Werkzeuge um zu einer maßgeschneiderten Patientenverfügung zu gelangen, beschreibe ich aus meiner Erfahrung, die ich als Geriater und Gerichtssachverständiger gesammelt habe, im Patientenratgeber „Pflegefall? Nein, danke!“ (Facultas-Maudrich-Verlag, 2017).