warum ist Geriatrie kaum bekannt?

Man ist gewohnt Ärzte zu konsultieren, damit es einem wieder besser geht und dass man sein Leben ungestört von Beschwerden, Schmerzen oder Krankheit weiterleben kann.

Patienten würden häufiger einen Geriater aufsuchen, wenn auch er solche Erfolge garantieren könnte. Aber je höher das Patientenalter ist, desto weniger realistisch sind diese Wünsche und deshalb kann sie der Geriater auch nur selten erfüllen. Durch Alter veränderte Gelenke können eben schmerzhaft sein, Veränderungen an den Gefäßen (im Gehirn, im Herz, in den Nieren, in den Augen etc.) zeigen ihre Auswirkungen, und auch sterben müssen wir alle einmal. Wissend, dass nicht alle Wünsche geriatrischer Patienten zu erfüllen sind, glauben Leute fälschlicher Weise, dass Geriater „ohnehin nichts tun können“.

Ein weiterer Grund, warum Geriatrie kaum gefragt wird ist die eigentliche Aufgabe der Geriatrie. Sie liegt darin, ältere Menschen ab einem gewissen Zeitpunkt bis zu ihrem Lebensende medizinisch zu begleiten. Weil also das Wirken des in der Praxis tätigen Geriaters auch das Lebensende von Menschen mit einschließt und dieses auch anspricht und ausspricht, wollen Patienten und Angehörige von Geriatrie „besser nichts hören“. Deshalb aber wissen Leute meist gar nicht, was sie vom Geriater alles erwarten oder verlangen dürfen, bzw. was sie beim Geriater bekommen können, noch lange bevor es zum Zeitraum des Sterbens und zum Tod kommt.

Was ist es denn, das einem der in der Praxis tätige Geriater geben kann? – Bestimmt nicht nur einen geliebten Menschen in den Tod begleiten. Nein vom Geriater bekommt man z. B. auch den richtigen Gesprächston und nicht nur Aussagen wie: „Was wolln’S denn, Sie sind ja schon alt“ oder „dann müssen Sie sich halt mehr um Ihren Vater kümmern“. Der Geriater weist den richtigen Weg durch die mittlerweile in Teilbereiche und Fachgebiete zersplitterte Medizin. Geriater behandeln ganzheitlich und nicht nur fachspezifisch. Geriatrie behandelt individuell nach den Beschwerden und nicht bloß nach Studienergebnissen (evidence based medicine). Geriatrie nimmt Rücksicht auf finanzielle und soziale Möglichkeiten. Geriatrie erklärt was medizinisch möglich und sinnvoll ist. Geriatrie weicht „unangeneh-men“ Fragen nicht aus. Geriatrie weckt keine falschen Hoffnungen. Geriatrie zeigt alten Menschen, wie sie trotz ihrer Beschwerden zufrieden sein können. Geriatrie lehrt Angehörige einen besseren Umgang mit dem geriatrischen Patienten. Schließlich bekommt man beim Geriater auch, dass der geliebte Mensch auf den letzten Schritten seines Weges nicht leiden muss und keine Angst hat. Und nicht unwesentlich ist auch das Werkzeug, das man vom Geriater bekommt, um mit dem Tod eines nahestehenden Menschen richtig umzugehen.

Es gibt um die Geriatrie keine „Sensationsmeldungen“, die Schlagzeilen in den Medien machen können. Angehörige erzählen eventuell vom Chirurgen, der den Vater operiert hat oder vom Kardiologen, der einen Stent gesetzt hat und damit vielleicht sogar des Vaters Leben gerettet hat, aber doch nicht vom Geriater, der den Vater nicht jung machen und nicht heilen konnte.

Auch der Patient selbst macht dem Geriater keine Mundpropaganda. Der letztlich verstorbene Patient kann nicht berichten, wie es ihm am Ende seines Lebens ergangen ist. Ob er Angst hatte oder Schmerzen litt, ob er hilflos den vielen Untersuchungen, medizinischen Maßnahmen und vielleicht auch Operationen ausgeliefert war, obwohl er all dies ebenso wenig wollte, wie er auch keine Kraft mehr dafür hatte. Er wird nicht erzählen können, dass er einen in der Praxis tätigen Geriater als Begleiter hatte, der ihn und seine Situation verstand, der auf seinen geschwächten Körper Rücksicht nahm, der ihn beschützte, der ihm nicht Dinge versprochen hatte, von denen er wusste, dass sie nicht eintreten werden, weil das einfach unmöglich war; der ihm das Gefühl gab, auch für jene die richtigen Worte zu finden, die er zurückgelassen hat.

Deshalb ist Geriatrie kaum bekannt.

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