Sterbehilfe-Diskussion

Selbstbestimmung und Autonomie eines Menschen enden dort, wo sie auf dieselben Rechte eines anderen stoßen. Jeder soll tun dürfen, was er möchte, aber nicht alles verlangen dürfen, was er möchte.

Sollte der VfGH bei den Themen Tötung auf Verlangen (Sterbehilfe) und  assistierter Suizid zu einem ähnlichen Urteil gelangen, wie es der Deutsche BvG im Februar 2020 verkündete, wird in Österreich hoffentlich ein anderer Weg gegangen werden als in Deutschland, wo der BM f. Gesundheit höchstgerichtliche Urteile einfach ignoriert.

Die Deutsche Bundesjustizministerin Christine Lambrecht sucht eine Sterbehilfe-Regelung. Es sollte für alle Sterbewilligen die Möglichkeit zum schmerzlosen und sicheren Suizid geschaffen werden, dieser soll nur in einem adäquaten Umfeld begangen werden dürfen, und Assistenten (Sterbebegleiter und Angehörige) sollen Rechtssicherheit haben sowie von Gewissenslast befreit sein.

Das Urteil BvR 2347-15 nimmt in seiner Begründung ausführlich zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht Stellung, sodass ich darin einen starken Konnex und sogar Parallelen zur Patientenverfügung sehe.

(Assistierter) Suizid steht dem allgemeinen und medizinischen Sachverstand ebenso entgegen, wie der Inhalt einer Patientenverfügung, der verlangt eine medizinisch indizierte Maßnahme zu unterlassen.

Obwohl eine Patientenverfügung erst wirksam wird, wenn der Betroffene seinen Willen nicht mehr kundtun kann, beim assistierten Suizid aber Entscheidungs- und Umsetzungsfähig­keit des Sterbewilligen gegeben ist, leite ich die folgenden Ausführungen, von meinem langjährigen Arbeitsgebiet, der Patientenverfügung, ab.

Grundsätzliches

Die vom BvG dem Gesetzgeber aufgetragene/offen gelassene Regulierung soll nicht paternalistisch erfolgen. Nicht Staat oder Kirche aber auch nicht Dritte haben das Recht darüber zu urteilen, was Lebensqualität für ein Individuum bedeutet, was eine „ausweglose Situation“ ist, oder wann ein Mensch sein höchstpersönliches Recht wahrnehmen möchte sein Leben zu beenden.

Selbstbestimmung und Autonomie (Recht auf Suizid) eines Menschen enden dort, wo sie auf Selbstbestimmung und Autonomie eines anderen Menschen (des Assistenten) stoßen, oder Werte der Allgemeinheit gefährden. Somit kann der Sterbewillige mE vom staatlichen System eventuell das straffreie zur Verfügung stellen einer Substanz für den schmerzlosen und sicheren Suizid verlangen, nicht aber das Aufheben der §§ 77 u. 78 StGB. Dadurch – weil straffrei – könnte jeder generell dazu verpflichtet werden den Akt des Tötens oder die Beihilfe zum Suizid ausführen zu müssen.

Patientenverfügung neu denken

Dabei wird das Entstehen einer Patientenverfügung als ein Entwicklungsprozess gesehen. Er beginnt mit einem Text und dauert so lange an, bis der Text – nach den im Laufe der Zeit eventuell durchgemachten Abänderungen – als Dokument wirksam werden wird. Durch regelmäßiges Überprüfen, Aktualisieren und Erneuern macht der Verfügende seine Patientenverfügung vom statischen Text zum dynami­schen Instrument. Im Rahmen des Entstehungsprozesses der Patientenverfügung, der nicht selten auch Jahr­zehnte dauern kann, lernt der Verfügende selbst umzusetzen, was er später mit dem Dokument Patientenver­fügung von Dritten verlangen würde.

Die neu gedachte Patientenverfügung sehe ich als Alternative zum assistierten Suizid. Zugleich kann der Verfü­gende dadurch verhindern, dass er gegen seinen Willen jahrelang durch Medizintechnik am Leben erhalten werden wird, ebenso kann er durch Einbinden von vorsorgebevollmächtigten Angehörigen verhindern, dass vor Gericht jahrelang über den tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillen gestritten werden wird.

So wie auch Inhalte einer Patientenverfügung nicht spontan, einmalig und unumstößlich verfasst werden, so ist auch das Verlangen nach assistiertem Suizid keine ad hoc Entscheidung.

Ist die jährliche Überprüfung und Erneuerung der Patientenverfügung bislang nur eine Empfehlung des BMJV.de, so sollte der Gesetzgeber bei straffreistellen des assistierten Suizids zwingend einen Nachweis verlangen, wie und wann der jetzt Sterbewillige zu seinem Entschluss gelangt ist (s.u. Eckpunkt #1). Der Wunsch nach assis­tiertem Suizid muss zuvor reiflich überlegt gewesen sein. Es ist legitim, dass sich die eigene Meinung und Entscheidung im Laufe der Zeit – bedingt durch neu hinzugekommene Umstände – ändert.

Diese Sichtweise eröffnet Möglichkeiten für Kompromisse zur Reglementierung des assistierten Suizids, sie macht die Diskussion um Änderung des § 77 StGB überflüssig, und § 78 StGB könnte durch Hinzufügen von „oder ihm ‚außerhalb der gesetzlichen Möglichkeiten‘ dazu Hilfe leistet“, angepasst werden.

Vorschlag

notwendiger Paradigmenwechsel

  • Weder die Beschaffung noch die Bereitstellung der todbringenden Substanz darf Ärzten auferlegt werden oder vorbehalten bleiben. Es geht um eine von Pharmakologen benannte, unverwechselbare, allgemein bekannte Substanz zur Umsetzung des Suizids (z.B. Na-Pentobarbital in Dosis letalis). Die Verschrei­bungspflicht des Mittels durch einen Arzt ist weder erforderlich noch rational erklärbar.
  • Der Sterbewillige soll in Ausübung seines höchstpersönlichen Rechts, sein Leben zu beenden, die todbrin­gende Substanz nicht nur selbst einnehmen, sondern auch persönlich anfordern müssen.
  • Anders als bei Suchtgiften, wo Verschreibung, Aufbewahrung, Verabreichung bzw. Überwachung der Abgabe Ärzten obliegen, soll die Aufsichtsbehörde hier nur Verwahrung und Distribution (z.B. über Apotheken) der tödlichen Substanz reglementieren. Die Substanz richtig zubereiten kann der Sterbewillige entweder selbst oder es kann jedem vernünftigen Erwachsenen (Assistent) überantwortet werden.

Eckpunkte für Reglementierung durch den Gesetzgeber

  1. Willensbildung: Obzwar der Sterbewillige für den Suizid keine Begründung geben muss, sollte der Gesetz­geber aber den Nachweis verlangen, dass sich der Sterbewillige mit dem eigenen Lebensende bzw. mit dem eigenen Sterben mehrmals auseinandergesetzt hat, bevor ihm das System assistierten Suizid ermöglicht. (Ein unbürokratischer, digitaler Lösungsvorschlag liegt vor.) Nach assistiertem Suizid zu verlangen, das ist keine ad hoc Entscheidung, sondern sie ist rechtzeitig (in gesunden Tagen) im Voraus überlegt und geplant worden. Dem erstmaligen und einmaligen Wunsch des Betroffenen, sein Leben beenden zu wollen, soll auch das System nicht entsprechen dürfen.
  2. Bereitstellen: Es würde der Tötung auf Verlangen gleichkommen, bräuchte der Betroffene nur zu verlangen, sein Leben – ohne eigenes Zutun – beenden zu wollen. Ein solches Verlangen darf aber nicht erfüllt werden. Der Gesetzgeber sollte Voraussetzungen für den Zugang zur Substanz definieren. Auch hier liegen konkrete Details vor.
  3. Beschaffen: Nicht ein Arzt oder ein sonstiger Dritter, sondern nur der entscheidungsfähige Sterbewillige selbst, soll das Mittel anfordern/bestellen dürfen, u.zw. unter Verwendung eines amtlichen Formulars, das bestimmte Inhalte abfragt [z. B. Bezugsapotheke, Name des Abholers, Lieferdatum, Datum wann der Betroffene die Substanz einsetzen wird]. Danach hat der Abholer Rückgabepflicht (Leerverpackung oder Originalverpackung bei Nichtverwenden).
  4. Bescheinigung der Ernsthaftigkeit: Entscheidungsfähigkeit, Identität und Verständnis des Anfordernden sind auf dem Anforderungs-Formular durch 3 Personen [Arzt, Notar und Angehöriger (Abholer/Überbringer/Zu­bereiter/Rücksteller)] zu bestätigen. Geteilte Gewissenslast für Angehörige.
  5. Schutz vor Missbrauch: Punkte 1. – 4. sind zugleich Maßnahmen gegen Missbrauch der Substanz.
  6. Umfeld: Die Sterbehilfe-Regelung soll auch Definition/Aufsicht des Umfelds umfassen, in welchem der Sterbewillige den schmerzlosen und mit Sicherheit zielführenden Suizid begehen kann.
    So wie der legale Schwangerschaftsabbruch im Spital erfolgt, sollte im Pflegeheim und im Hospiz auch die (räumliche) Möglichkeit geschaffen werden, den nun legalisierten assistierten Suizid so wie im eigenen Zuhause, begleitet durch ein ambulantes Hospizteam, zu begehen. Sterbehilfevereine werden die Auflagen zum Betrieb einer dieser Institutionen erfüllen müssen.

Für konstruktive Kritik bin ich dankbar. Schreiben Sie gerne einen Kommentar.

Pflegegeld-Beratung – wozu?

Wozu braucht man Beratung, wo es doch Pflegegeld-Rechner gibt?

  • Der online-Rechner gibt einen Orientierungswert

Automatisierte Rechner können nicht beurteilen ob Antworten zu großzügig („dramatisch“) oder zu vorsichtig (z.B. aus Eitelkeit beschönend) geklickt wurden. Rechner können Ihnen nicht raten, was Sie dem Gutachter antworten, wenn die korrekte Antwort heißt „manchmal ja“ und „manchmal nein“. Und Rechner können nicht wissen, worauf es in Ihrem Fall ankommt.  Der Pflegegeld-Berater ist mehr als eine Datenbank.

  • was hinterfragen Gutachter?

GutachterInnen prüfen, ob die vorgetragenen Beschwerden mit vorhandenen Diagnosen und mit dem Pflegegeldgesetz vereinbar sind. Sie bemühen sich aber aus Zeitgründen nicht, nach Vorteilen für Anspruchsberechtigte zu suchen.

  • wie können Sie Gutachter auf Wesentliches hinweisen?

Für die optimale Einstufung müssen GutachterInnen neben nüchterner Beurteilung auch schlüssige Begründungen liefern, die sie aber vom Patienten oder von den pflegenden Personen hören müssen. Argumente – warum Pflegebedarf besteht – wollen richtig formuliert sein. Bei Beratung sagt Ihnen der Fachmann worauf es ankommt und wie Sie es (auch als Angehöriger) dem Gutachter am besten kommunizieren.

  • Sie bekommen Antworten auf Fragen zu Ihrem Fall

Jeder Fall ist individuell. Sie möchten z.B. wissen ob die Diagnose „Demenz“ bei Ihrem Fall den Erschwerniszuschlag rechtfertigt? Diese Antwort ist wichtig, wenn es um Aufnahme in ein Pflegeheim oder um Förderung für 24-h-Betreuung geht.

wozu Beratung, bei einem negativen Bescheid?

Sie wollen wissen ob die Klage Erfolg haben kann? Wenn Sie unterstützung bei der Klage wünschen, prüft der Berater u.a. das Einstufungsgutachten, welches Sie beim Entscheidungsträger anfordern müssen.

  • Fehler

Dem Gutachter kann ein Fehler passiert sein, aber auch Rechenfehler sind schon vorgekommen. Dann wird die Klage sicherlich Erfolg haben.

  • Entscheidungsgrundlagen

Auch bei Gericht kommt es darauf an, den Juristen (ob dem Richter oder Ihrem Anwalt) die richtigen Entscheidungsgrundlagen zu liefern. Hier hilft Ihnen kein Rechner, wohl aber kann Sie der Fachmann mit den richtigen Argumenten ausstatten.

  • Interpretation des Gesetzes

Klagen führen oft erst zum Erfolg, wenn Fragen der Gesetzes-Auslegung in Ruhe geklärt werden. Nicht unter dem Stress der Begutachtung oder gar in der Gerichtsverhandlung. Der Experte kennt das Gesetz und Gerichtsentscheidungen. Er sucht für Sie nach Möglichkeiten, um zum besten, legalen Ergebnis zu kommen. Er erklärt Ihnen verständlich worauf es ankommt.

Meist genügt es, dem Kunden die relevanten Informationen mündlich mitzugeben. Nur selten ist es notwendig im Gerichtsverfahren ein Privat-Gutachten vorzulegen. Zu- und Aberkennung oder das Nicht-Zuerkennen einer bestimmten Pflegestufe ist immer eine rechtliche und nie eine ärztliche oder pflegerische Entscheidung.

Tipp: Besser durch rechtzeitige Beratung der Ablehnung vorbeugen, als einen negativen Bescheid bekämpfen zu müssen. Buchen können Sie Pflegegeldberatung auf der Ergebnisseite, gleich im Anschluss an die kostenlose Pflegestufenberechnung

Was bedeutet die ab 1.7.20 geltende Änderung beim Pflegegeld für die Praxis

Ab 1. Juli 2020 wird „sonstige/gründliche Körperpflege“ mit 10 Stunden pro Monat (anstatt bisher mit 4 h/Mo) bewertet. Täglich 20 Minuten für Duschen/Baden. Erlass des Bundesministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK), GZ 2020-0.192.028 (vom 31. März 2020).

Anpassen an die Realität: Hilfe beim Duschen oder Baden wird besonders in den niedrigen Pflegestufen oft benötigt, während in den höheren Pflegestufen meist schon Hilfe bei der gesamten täglichen Körperpflege notwendig ist.
Die Hilfe ist auch notwendig, weil gerade beim Duschen/Baden erhöhtes Risiko für Stürze mit Verletzungsfolgen besteht.

Verschärfungen abgefedert: Seit Inkrafttreten des BPGG (1993) wurde der Zugang zu Stufe 1 von ursprünglich 50 Stunden pro Monat auf 60 Stunden pro Monat erhöht und im Jahr 2015 nochmals um 5 Stunden auf 65 Stunden pro Monat angehoben. Für Stufe 2 beträgt der Zugangswert heute 95 Stunden pro Monat. Daran ist abzulesen, dass in den letzten 5 Jahren der Wert für sonstige Körperpflege mit 4 Stunden pro Monat dafür verantwortlich war, dass die Stufen 1 und 2 nicht selten wegen einer einzigen Stunde pro Monat verfehlt wurden. Das führte auch zu Klagen gegen Bescheide, die aber in den allermeisten Fällen auch keine Verbesserung für den Pflegegeldwerber brachten, weil auch Gerichtsgutachter sich nach dem Konsensus richteten und für sonstige/gründliche Körperpflege 4 Stunden pro Monat zum Ansatz brachten, somit im Kalkül auch nur 64 bzw. 94 Stunden pro Monat erreichten. Es ist verständlich, dass RichterInnen dann nur selten von sich aus die Entscheidungsgrundlage abänderten, die sie vom Sachverständigen angefordert haben.

für Pflegegeldwerber/Pflegegeldbezieher: Es kann jetzt auch lohnen einen „alten“ negativen Pflegegeldbescheid genauer unter die Lupe zu nehmen. Bei www.pflegestufen.at ab 1.7.20 die Pflegestufe kostenlos neu berechnen und das Ergebnis mit dem Bescheid vergleichen. Danach kann man entscheiden, ob vielleicht ein Antrag auf Zuerkennung von Pflegegeld oder Neubemessung der Pflegestufe der richtige Weg ist. Zur Unterstützung gibt es (kostenpflichtig) zusätzliche Informationen.

Es bleibt zu hoffen, dass einerseits die Zugangsschwellen zu den Pflegestufen 1 und 2 nicht abermals erhöht werden und andererseits, dass die Position sonstige/gründliche Körperpflege mit dem Ansatz von 10 Stunden pro Monat in die Einstufungsverordnung zum BPGG aufgenommen wird.