Das VfGH-Urteil zum assistierten Suizid ist kein Dammbruch

Wer das Urteil des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) G 139/2019 einen Dammbruch nennt, zeigt lediglich Angst. Angst davor, sich intellektuell mit dem Spruch der Verfassungsrichter auseinander zu setzen, darauf professionell zu reagieren und Lösungsansätze für die eigene Klientel anzubieten.

Der Kirche fehlen offenbar überzeugende Argumente gegen den Suizid, also kommt es ihr nicht gelegen, dass straffrei bleiben soll, wer dem Suizidenten in seiner schweren Situation behilflich ist. Ob durch Anwesenheit, durch Begleitung ins Ausland wo Beihilfe zum Selbstmord weniger streng reguliert ist als in Österreich, oder auch dass er ihm den tödlichen Trank herbeischafft oder reicht. Mit der Frage des Kardinal Christoph Schönborn in der „Krone“: „Soll es jetzt erlaubt sein, ihm (Anm.: jemandem der von der Brücke springen möchte) den letzten Schubs zu geben?“ scheint die Kirche bemüht zu sein, die Grenze zwischen der strafrechtlich weiterhin relevanten „aktiven Sterbehilfe“ und der aus Kirchensicht womöglich unbequemen aber durchaus legitimen „freien Selbstbestimmung“ zu nivellieren. Die Kirche kann sich ihrer eigenen Gesetze bedienen, wenn sie den Suizidenten und seinen „Beistandleister“ bestrafen möchte.

Die Ärztekammer wiederum hat einerseits Angst davor, sich in der Sache eindeutig zu positionieren und andererseits die paternalistische Haltung der Ärzte einzubüßen. Warum sonst verbietet sie gewerbs­mäßige Beihilfe zum Suizid nicht einfach über ihr Disziplinarrecht. Weil das Verordnen einer tödlichen Substanz keine ärztliche Tätigkeit ist, müsste sie bloß feststellen, dass „Beihilfe zur Selbsttötung“ auch aus ethischen Überlegungen nicht zu ärztlichen Aufgaben zählen kann. Ärzte sehen sich infolge ihrer beruflichen Pflicht zur Sterbebegleitung genügend oft mit legaler Sterbehilfe konfron­tiert: Ob sie im Rahmen von Palliativmedizin bei gewissen Dosierungen eventuell eintretende Lebens­verkürzung auch in Kauf nehmen sollen (indirekte Sterbehilfe). Aber auch wenn sie mögliche Lebens­rettung oder Lebenserhaltung unterlassen, weil der Patient das selbst verlangt oder weil eine entspre­chende Patientenverfügung vorliegt (passive Sterbehilfe). Der frei bestimmte Entschluss eines Indivi­duums sein Leben beenden zu wollen ist zu respektieren und zu akzeptieren, auch wenn er dem medizinischen Sachverstand widerspricht.

Das Urteil ist kein Dammbruch

Es hat lediglich bestätigt, was österreichisches Recht mit dem Patien­tenverfügungsgesetz schon zugebilligt hat – nämlich das Recht des Einzelnen auf freie Selbstbestim­mung – einschließlich das eigene Lebensende selbst zu bestimmen. Schon jetzt kann jeder Suizid­willige eine tödliche Menge jeder giftigen Substanz schlucken und zugleich in seiner Patientenverfügung jede Behandlung ablehnen, die den gewollten Suizid verhindert. Damit werden sich auch Anwesende nicht wegen unterlassener Hilfeleistung vor dem Strafrichter verantworten müssen. Das aktuelle Urteil verlangt vom Gesetzgeber eine Korrektur des § 78 StGB mit Hinblick auf Personen, die bereit sind, dem Suizidenten beizustehen. Aktive Sterbehilfe (Tötung auf Verlangen – § 77 StGB) und Verleiten zum Selbstmord (§ 78 erster Fall) bleiben unverändert, wie auch bisher strafbar.

Neuregelung des § 78 StGB und die Ärzteschaft

Die vom VfGH geforderte Korrektur des österreichischen StGB wird hier den Einzelnen so weit wie möglich von paternalistischen, religiösen und staatlichen Zwängen befreien.

Wie eine Reparatur aussehen kann

Die Reparatur des § 78 StGB könnte auf zweierlei Arten erfolgen: a) Ausnahmen vom Verbot aufzählen (zB Herbeischaffen der todbringenden Substanz ist erlaubt, oder Begleiten eines Suizidwilligen ins Ausland wo Sterbehilfen weniger streng geregelt sind als in Österreich ist erlaubt) oder b) strafbare Tatbestände nennen, zB wer gewerbsmäßig oder regelmäßig Beihilfe zum Selbstmord leistet macht sich strafbar, oder

ein Arzt, der Beihilfe zum Selbstmord leistet, macht sich strafbar

Eine Forderung, welche Ärztekammern aus ethischen Gründen vehement stellen sollten.

Der Gesetzgeber könnte Beihilfe zum Suizid durch Ärzte aus mehreren Gründen strafbar machen. Die Reparatur des § 78 StGB soll mit aller Klarheit zum Ausdruck bringen, dass niemand erwarten darf unter dem Deckmantel des straffreien assistierten Suizids den weiterhin strafrechtlichen Tatbestand Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) zu bekommen.

Warum assistierter Suizid für Ärzte auch weiterhin strafbar bleiben könnte ergibt sich auch daraus, dass die Aufgabe von Ärzten ist, zu heilen oder Leiden zu lindern, nicht aber Menschen in den Tod zu helfen.

Ärzte stehen im Rahmen der beruflichen Sterbebegleitung oft genug vor der Gewissensfrage, wenn sie bei einem der beiden legalen Wege der Sterbehilfe entscheiden müssen: Palliativmedizin (indirekte Sterbehilfe) und Unterlassen von lebensrettenden bzw. lebenserhaltenden Maßnahmen, sofern das entweder der Patient selbst verlangt oder wenn eine entsprechende Patientenverfügung vorliegt (passive Sterbehilfe).

Wenn Beihilfe zum Suizid durch Ärzte ein strafrechtlicher Tatbestand bleibt, kann es nicht zur Aufgabe der Ärzte (gemacht) werden, Beihilfe zum Suizid zu leisten.

Notwendiger Paradigmenwechsel

Nicht Verschreiben, nicht Beschaffen und nicht Bereitstellen eines todbringenden Mittels darf Ärzten auferlegt werden oder vorbehalten sein. Na-Pentobarbital in tödlicher Dosis ist eine Substanz, die jeder Suizidwillige kennt. Es ist also weder erforderlich noch rational erklärbar, weshalb ein unverwechselbares, allgemein bekanntes Gift zur Um­setzung des Suizids der Verschreibungspflicht bedürfen sollte.

Anders als bei Suchtgiften, wo Verschreibung, Aufbewahrung, Verabreichung bzw. Überwachung der Abgabe den Ärzten obliegen, soll die Behörde hier nur Verwahrung und Distribution (z.B. über Apotheken) der tödlichen Substanz reglementieren. Durch eindeutige Vorgaben für Bestellen und Abrufen kann Missbrauch weitgehend ausgeschlossen werden. Das richtige Zubereiten der Substanz kann der Sterbewillige ent­weder selbst besorgen, oder es kann jedem vernünftigen Erwachsenen (Assistent) überantwortet werden. Dafür ist wahrlich keine Ärzteausbildung Voraussetzung.

Ich persönlich möchte nicht von einer Kollegin oder von einem Kollegen behandelt werden, deren Ethik es zulässt für einen Patienten eine tödliche Dosis zu verordnen, die/der soeben im Nachbarzimmer Beihilfe zum Suizid geleistet hat, oder bei mir keine Zeit hat, weil er ins Nebenzimmer muss …

Empörung oder Enttäuschung über das ergangene VfGH Urteil ist von Seiten der Ärztekammern nicht angebracht, und als Reaktion zu wenig.


Beihilfe zum Selbstmord (§ 78 StGB) muss neu geregelt werden

Es ist nur recht und billig, wenn der Verfassungsgerichtshof (VfGH) mit Erkenntnis (G 139/2019) feststellt, dass der Staat das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen nicht soweit einschränken darf, ihm beim Umsetzen seines Entschlusses sich selbst das Leben zu nehmen, keinerlei Hilfe zu gestatten.

Warum sollte jemand auch eine Straftat nach § 78 StGB begehen müssen, wenn er/sie seiner/m Liebsten beim Suizid beistehen möchte? Niemand, nicht der Staat, nicht die Kirche und auch kein Dritter soll ermächtigt sein, über den Willen des Einzelnen zu bestimmen, solange dieser niemanden anderen tangiert, sondern nur das Individuum selbst betrifft. Das gilt für Suizidwillige wie für in Frage kommende Helfer gleichermaßen.

Wie frei kann Selbstbestimmung sein?

Selbstbestimmung kann aber nur so frei sein, als sie nicht Gesundheit und Leben anderer gefährdet, als sie nicht Rechte Dritter verletzt, als sie nicht gegen Gesetze verstößt und solange die freie Selbstbestim­mung nicht das Zutun Dritter braucht oder verlangen muss.

Der VfGH stellt in Bezug auf Ausübung des Selbstbestimmungsrechts die Parallele zwischen Patienten­verfügung (passive Sterbehilfe) und Beihilfe zum Suizid fest. Demnach darf zusätzlich auch davon ausgegangen werden, dass das Selbstbestimmungsrecht so wie bei der Patientenverfügung auch hier die Pflicht zur Konkretisierung umfasst. Der Einzelne kann also auch hier dazu verhalten werden, zu konkretisieren was er unter „Sterben in Würde“ und unter „Bestattung in Würde“ versteht.

Jeder kann, darf und muss sich die Bedingungen (Maßnahme, Mittel, sowie Umfeld) aussuchen und vorbereiten unter denen er Suizid begehen möchte und wie er danach bestattet werden will. Jedoch nur solange, als er dadurch nicht Gesundheit und Leben anderer gefährdet, Rechte anderer verletzt, Gesetze bricht und solange er dafür nicht das Zutun Dritter verlangen muss.

Auch in der Natur gibt es ausreichend viele, giftige, rasch zum Tod führende Substanzen aber auch Sucht­mittel und Medikamente, die ab einer bestimmten Dosis zu einem raschen, sicheren und vielleicht auch „angenehmen“ Tod führen. Eine Recherche die heute jeder im Internet machen kann. Jeder darf sich für die Substanz seiner Wahl entscheiden und in seiner Patienten­verfügung festlegen, dass er jede Behandlung ablehnt, die den beabsichtigten Suizid verhindert. (Anderenfalls könnten sich Anwesende wegen unterlassener Hilfeleistung vor dem Strafrichter verantworten müssen!)

Auch zur Bestätigung der Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit des eigenen freien Entschlusses sollte der Gesetzgeber von Suizidwilligen verlangen diese Recherche beizeiten (schon in gesunden Tagen) selbst machen zu müssen, um später dem Helfer den Nachweis darüber erbringen zu können.

Der Suizidwillige kann von niemandem (auch nicht vom Staat) verlangen, jenes allfällige Mittel und Umfeld auf Abruf für ihn bereit zu halten, das er sich zu gegebener Zeit eventuell wünschen wird.

Beihilfe zum Selbstmord unter der Lupe – Verfassungsgerichtshof kippt § 78 StGB

Beihilfe zum Selbstmord unter der Lupe – Verfassungsgerichtshof kippt § 78 StGB

Jede Art der Hilfe zur Selbsttötung ausnahmslos zu verbieten, ist verfassungswidrig.

Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat mit Erkenntnis (G 139/2019) festgestellt, dass das generelle Verbot des § 78 StGB, jegliche Beihilfe zum Selbstmord zu leisten, verfassungswidrig ist. Ein solches ausnahmsloses Verbot verstoße gegen das Recht auf Selbstbestimmung. „Das Recht auf freie Selbstbestimmung umfasst auch das Recht des Sterbewilligen, die Hilfe eines dazu bereiten Dritten in Anspruch zu nehmen“, sagt der VfGH.

Die vom VfGH geforderte Korrektur des österreichischen StGB wird wohl das einzelne Individuum so weit wie möglich von paternalistischen, religiösen und staatlichen Zwängen befreien.

Auflagen/Empfehlungen an den Gesetzgeber

Der VfGH gab dem Gesetzgeber Auflagen, Empfehlungen, sowie einen Zeitrahmen, in welchem die Reparatur zu erfolgen hat.

  • „Der Gesetzgeber hat dafür zu sorgen, dass der helfende Dritte eine hinreichende Grundlage dafür hat, dass der Suizidwillige tatsächlich eine auf freier Selbstbestimmung gegründete Entscheidung zur Selbsttötung gefasst hat, der ein aufgeklärter und informierter Willensentschluss zugrunde liegt.“

Diese Formulierung unterstellt, dass jemand seine Beihilfe zum Suizid nur dann leisten wird, wenn er eine hinreichende Grundlage dafür hat, dass der Suizidwillige tatsächlich eine auf freier Selbstbestim­mung gegründete Entscheidung zur Selbsttötung gefasst hat. Das wiederum impliziert eine hohe ethische Einstellung des Helfers, auf die wohl nicht zu zählen ist, wenn von vornherein Missbrauch beabsichtigt ist.

Zum Zweiten ist es keine ausreichende Vorkehrung gegen Missbrauch von straffreiem Suizid, die Entscheidung ob oder dass die „hinreichende Grundlage“ gegeben ist, einem helfenden Dritten alleine zu überlassen. Der helfende Dritte sollte seine Beihilfe zum Selbstmord verantworten müssen.

  • Da die Selbsttötung irreversibel ist, muss die entsprechende freie Selbstbestimmung der zur Selbsttötung entschlossenen Person tatsächlich auf einer nicht bloß vorübergehenden, sondern dauerhaften Entscheidung beruhen.

So wie auch Inhalte einer Patientenverfügung nicht spontan, einmalig und unumstößlich verfasst werden, so ist auch das Verlangen nach assistiertem Suizid keine ad hoc Entscheidung.

Ist die jährliche Überprüfung und Erneuerung der Patientenverfügung bislang nur eine Empfehlung des BMJV.de, so sollte der Gesetzgeber bei straffrei stellen des assistierten Suizids zwingend einen Nachweis verlangen, wie und wann der jetzt Sterbewillige zu seinem Entschluss gelangt ist (s.u. Eckpunkt #1). Der Wunsch nach assistiertem Suizid muss zuvor reiflich überlegt gewesen sein. Es ist legitim, dass sich die eigene Meinung und Entscheidung im Laufe der Zeit – bedingt durch neu hinzugekommene Umstände – ändert bzw. geändert hat.

  • Durch das ausnahmslose Verbot der Hilfe eines Dritten wird es dem Einzelnen verwehrt, über sein Sterben in Würde zu bestimmen.

Zum nicht näher definierten Begriff „Sterben in Würde“.

Einen Begriff in das Selbstbestimmungsrecht aufzunehmen, den jeder Mensch für sich individuell definieren kann, sehe ich insofern als problematisch, als darunter verstanden werden kann, dass jedes Individuum „alles“ verlangen könne, was es sich selbst definiert.

Selbstbestimmung und Autonomie (Recht auf Suizid) eines Menschen enden dort, wo sie auf Selbstbestimmung und Autonomie eines anderen Menschen (des Assistenten) stoßen, oder Werte der Allgemeinheit gefährden. Somit kann der Sterbewillige vom staatlichen System mE eventuell das zur Verfügung stellen einer Substanz für den schmerzlosen, raschen und sicheren Suizid verlangen, nicht aber bedingungslose Straffreiheit jeglicher Beihilfe zum Selbstmord. Durch generelle Straffreiheit des assistierten Suizids könnte jeder dazu verpflichtet werden, die Beihilfe zum Suizid ausführen zu müssen.

Die Aufhebung der Bestimmung tritt mit Ablauf des 31. Dezember 2021 in Kraft. Damit hat das Parlament nun 1Jahr lang Zeit einen Konsens zu finden, der künftig nicht mehr jegliche Hilfe zum Selbstmord als strafrechtlichen Tatbestand qualifiziert.

Die Reparatur des § 78 StGB könnte auf zweierlei Arten erfolgen: a) Ausnahmen von der strafbaren Handlung nennen (zB Begleitung eines Suizidwilligen ins Ausland, wo assistierter Suizid weniger streng geregelt ist, und Herbeischaffen der todbringenden Substanz) oder b) strafbare Tatbestände benennen (zB gewerbsmäßig, regelmäßig durch Ärzte).

Warum assistierter Suizid für Ärzte mE einen strafbaren Tatbestand darstellen sollte, ergibt daraus, dass Ärzten – deren Aufgabe es ist Menschen zu heilen oder ihre Leiden zu lindern, nicht aber ihnen in den Tod zu helfen – zwei legale Wege zur Sterbehilfe offen stehen: Palliativmedizin (indirekte Sterbehilfe) und Unterlassen von lebensrettenden bzw. lebenserhaltenden Maßnahmen, sofern eine entsprechende Patientenverfügung vorliegt (passive Sterbehilfe).

Welche Forderungen soll § 78 StGB auch nach dessen Reparatur noch erfüllen?

Mögliche Absichten des Gesetzgebers

Bereits in seiner Entscheidung vom 08.03.2016, E 1477/2015, billigte der VfGH dem Gesetzgeber zu, den ihm zustehenden Gestaltungsspielraum nicht überschritten zu haben, wenn er das generelle Verbot der Beihilfe zum Selbstmord als zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer als notwendig erachtet.

Es ist also anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit dem korrigierten § 78 StGB auch weiterhin wird Gesundheit, Moral sowie Rechte und Freiheiten anderer wird schützen wollen. Er wird eventuell auch verhindern wollen, dass assistierter Suizid zu einer weit verbreiteten Art des Ablebens wird, dass assistierter Suizid gewerbsmäßig zum finanziellen Vorteil eingesetzt wird, und er wird Vorkehrungen treffen müssen, dass Straffreiheit des assistierten Suizids nicht missbraucht wird.

Selbstbestimmung verlangt Eigenverantwortung

Wem das Gesetz die straffreie Inanspruchnahme und Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts auf Suizid zugesteht und zugleich jene Person straffrei stellt, die bereit ist dem Suizidwilligen bei seinem Vorhaben zu helfen, von dem darf das Gesetz auch verlangen, dass er sich beizeiten mit folgendem beschäftigt und belegen kann: a) er muss sich rechtzeitig, ernsthaft und ausreichend überlegt haben, dass er den Entschluss zum Suizid fasst und b) er muss (aus seinem Umfeld) einen Dritten auswählen und bekannt geben, der bereit ist, ihm bei seinem Vorhaben Hilfestellung zu leisten.

Meines Erachtens sollte das Gesetz kein System zulassen, das assistierten Suizid „auf Abruf“ oder durch „anonyme“ Assistenten ermöglicht oder gar anbietet.

Patientenverfügung

Mit dem Patientenverfügungsgesetz erkennt österreichisches Recht jedem entscheidungsfähigen Individuum das Recht auf freie Selbstbestimmung zum Beenden des eigenen Lebens zu.

Der grundlegende Unterschied zwischen wirksam gewordener Patientenverfügung und assistiertem Suizid liegt in der aktuellen Fähigkeit des Sterbewilligen, seinen Willen zu bilden und kundzutun. Beim assistierten Suizid kann der Sterbewillige seinen Willen bilden, und er muss ihn auch selbst umsetzen. Bei der wirksam gewordenen Patientenverfügung ist der Sterbewillige nicht mehr in der Lage seinen Willen zu bilden, kundzutun oder umzusetzen.

Der grundlegende Unterschied zwischen künftig straffrei zu stellender Beihilfe zum Selbstmord und dem weiterhin strafbaren Tatbestand Tötung auf Verlangen (§ 77 StGB) liegt in der letzten Handlung. Während der Suizidwillige beim assistierten Suizid selbst imstande sein muss sie vorzunehmen und sie auch selbst vornehmen muss, erfolgt bei Tötung auf Verlangen die letzte Handlung durch einen Dritten.

Rechtssicherheit für Ärzte

Beihilfe zum Suizid durch Ärzte sollte ein strafrechtlicher Tatbestand bleiben, denn es darf nicht zur Aufgabe der Ärzte (gemacht) werden, Beihilfe zum Suizid zu leisten.

Nur palliativmedizinische Behandlung (indirekte Sterbehilfe) und Unterlassen von lebensrettenden und lebenserhaltenden Maßnahmen bei eindeutigem Patientenwillen entweder durch den Patient selbst oder durch eine entsprechende Patientenverfügung (passive Sterbehilfe) sind straffrei.

Helfer

Helfer sind Personen, die bereit sind dem Suizidwilligen zu helfen, dass dieser seinen reiflich überlegten Entschluss umsetzen kann. Helfer würden bei straffreiem assistierten Suizid die todbringende Substanz Herbeischaffen dürfen, oder den Suizidwilligen begleiten dürfen, wenn dieser eine Institution im Ausland in Anspruch nehmen möchte, wo assistierter Suizid zB weniger streng geregelt ist als in Österreich.

Vorschlag

Notwendiger Paradigmenwechsel

  • Weder Beschaffen noch Bereitstellen einer todbringenden Substanz darf Ärzten auferlegt werden oder vorbehalten bleiben. Es geht um eine von Pharmakologen benannte, unverwechselbare, allgemein bekannte Substanz zur Umsetzung des Suizids (z.B. Na-Pentobarbital in Dosis letalis). Die Verschreibungspflicht des Mittels durch einen Arzt ist weder erforderlich noch rational erklärbar.
  • Der Sterbewillige soll in Ausübung seines höchstpersönlichen Rechts, sein Leben zu beenden, die todbringende Substanz nicht nur selbst einnehmen, sondern auch persönlich anfordern müssen.
  • Anders als bei Suchtgiften, wo Verschreibung, Aufbewahrung, Verabreichung bzw. Überwachung der Abgabe Ärzten obliegen, soll die Aufsichtsbehörde hier nur Verwahrung und Distribution (z.B. über Apotheken) der tödlichen Substanz reglementieren. Das richtige Zubereiten der Substanz kann der Sterbewillige entweder selbst, oder es kann jedem vernünftigen Erwachsenen (Assistent) überantwortet werden.

Eckpunkte für Reglementierung durch den Gesetzgeber

  1. Willensbildung: Obzwar der Sterbewillige für den Suizid keine Begründung geben muss, sollte der Gesetzgeber aber den Nachweis verlangen, dass sich der Sterbewillige mit dem eigenen Lebensende bzw. mit dem eigenen Sterben mehrmals auseinandergesetzt hat, bevor ihm das System assistierten Suizid ermöglicht. (Hierfür gibt es einen unbürokratischen, digitalen Lösungs­vorschlag.) Nach assistiertem Suizid zu verlangen, das ist keine leichtfertige ad hoc Entscheidung, sondern sie ist rechtzeitig (in gesunden Tagen) im Voraus überlegt und geplant worden. Dem erstmaligen und einmaligen Wunsch des Betroffenen, sein Leben beenden zu wollen, soll auch das System nicht entsprechen dürfen.
  2. Bereitstellen: Es würde der Tötung auf Verlangen gleichkommen, bräuchte der Betroffene nur zu verlangen, sein Leben – ohne eigenes Zutun – beenden zu wollen. Deshalb sollte der Gesetzgeber Voraussetzungen für den Zugang zur Substanz definieren. Auch hier liegen konkrete Details vor.
  3. Beschaffen: Nicht ein Arzt oder ein sonstiger Dritter, sondern nur der entscheidungsfähige Sterbewillige selbst, soll das Mittel anfordern/bestellen dürfen, u.zw. unter Verwendung eines amtlichen Formulars, das bestimmte Inhalte abfragt [z. B. Bezugsapotheke, Name des Abholers, Lieferdatum, Datum/Zeitraum wann der Betroffene die Substanz einsetzen wird]. Danach hat der Abholer Rückgabepflicht (Leerverpackung oder Originalverpackung bei Nichtverwenden).
  4. Bescheinigung der Ernsthaftigkeit: Entscheidungsfähigkeit, Identität und Verständnis des Anfordernden sind auf dem Anforderungs-Formular durch 3 Personen [Arzt, Notar und Angehöriger (Abholer/Überbringer/Zubereiter/Rücksteller)] zu bestätigen. Geteilte Gewissenslast für Angehörige.
  5. Schutz vor Missbrauch: Punkte 1. – 4. sind zugleich Maßnahmen gegen Missbrauch der Substanz.
  6. Umfeld: Die Sterbehilfe-Regelung soll auch Definition/Aufsicht des Umfelds umfassen, in welchem der Sterbewillige den schmerzlosen und mit Sicherheit zielführenden Suizid begehen kann.
    So wie der legale Schwangerschaftsabbruch im Spital erfolgt, sollte im Pflegeheim und im Hospiz auch die (räumliche) Möglichkeit geschaffen werden, den nun legalisierten assistierten Suizid so wie im eigenen Zuhause, begleitet durch ein ambulantes Hospizteam, zu begehen. Sterbehilfevereine werden die Auflagen zum Betrieb einer dieser Institutionen erfüllen müssen.

Gerne stehe ich für Näheres (auch zu Eckpunkt # 1 und # 2) über meinen Vorschlag zur Verfügung und diskutiere ihn.

Ich sehe assistierten Suizid mit gewisser Skepsis. Obwohl ich denke, dass auch Straffreiheit den assistierten Suizid nicht zu einer weit verbreiteten Ablebensart machen wird, ist zu befürchten, dass Suizidwillige „morgen“ auch von Ärzten oder Institutionen erwarten oder verlangen, ihrem Wunsch nach „ohnehin“ straffreiem assistierten Suizid nachzukommen. Dass Ethik heute auch in der Medizin schon längst der „Monetik“ Platz gemacht hat, sollte dabei nicht vergessen werden.

Jetzt ist verantwortungsvoller Umgang mit der notwendig gewesenen Korrektur des österreichischen StGB gefragt. Damit wurde dem Gedanken Rechnung getragen, das einzelne Individuum so weit wie möglich von paternalistischen, religiösen und staatlichen Zwängen zu befreien. Andererseits sollte damit aber nicht gleichzeitig ein weiterer gesellschaftlicher Werteverlust eingeleitet werden.

Es wird an den Medien liegen, ob sie dieses VfGH Erkenntnis in der öffentlichen Meinung zu einem Freibrief für Missinterpretation und zu Missbrauch hochstilisieren, die unweigerlich zu einem weiteren gesellschaftlichen Werteverlust führen werden.

Antwort an Dr. Szekeres

Beitrag im Blog von Dr. Szekeres vom 3.10.2020

Nein zur aktiven und geschäftsorientierten Beihilfe zum Suizid.

Wie hängt bitte Triage-Problematik mit aktiver Sterbehilfe zusammen?

Der VfGH (nicht OGH) hat eine prinzipielle Entscheidung zu Selbstbestimmung und Patientenautonomie zu fällen, und nicht paternalistische Ansichten von Ärztevertretern zu goutieren.

Dass Ärzte nicht aktive Sterbehilfe leisten sollten ist voll und ganz zu unterschreiben. Deshalb ist es mE Pflicht der Stunde, von Seiten der Interessensvertretung der ÄrztInnen schon jetzt die Initiative zu ergreifen, und kundzutun, dass Ärzte für assistierten Suizid nicht zur Verfügung stehen werden – selbst wenn er vom VfGH ebenso gutgeheißen werden sollte wie vom BGH in Deutschland.

Es wird dann am Gesetzgeber liegen, Suizidwilligen einen Weg zum sicheren und schmerzfreien Suizid zur Verfügung zu stellen – jedoch ohne Beteiligung der Ärzteschaft.

Eine mit Sicherheit zum Tod führende Substanz oder Maßnahme bedarf weder der ärztlichen Verschreibung, noch ist es notwendig oder erklärbar, dass ÄrztInnen in irgend einer Form an einem Suizid beteiligt sein müssen.