Zufriedenheit im Alter

„Wer nicht mit dem zufrieden ist, was er hat, der wäre auch nicht mit dem zufrieden, was er haben möchte.“[1]

Um auch im Alter zufrieden zu sein, kann man sich der gleichen Rezepte bedienen wie in jungen Jahren. Es sind zwei Faktoren, die man nie außer acht lassen darf. Man muss sich stets vor Augen halten, was überhaupt möglich ist. Wer glaubt, als Pflegefall 24 Stunden pro Tag von nur einer Betreuungsperson versorgt werden zu können, zu Hause die Infrastruktur eines Akutspitals aufbauen zu können, oder wer glaubt den Tod besiegen oder verhindern zu können, der verkennt die Realität. Andererseits ist es notwendig, dass der alte Mensch aktiv und bewusst investieren muss, diese Rezepte einzusetzen, um zur Zufriedenheit zu gelangen.

Der Betagte hat gute Chancen, dass ihn die Rezepte tatsächlich zur Zufriedenheit führen. Erstens hat der Alte mehr Zeit, die er in das Projekt investieren kann. Zweitens hat er Lebenserfahrung, wodurch es ihm leichter fällt zu beurteilen, welchen Vorteil ihm Zufriedenheit bringt. Drittens hat der Gealterte auch schon ein relativ langes Leben hinter sich, auf das er mit mehr oder weniger Freude zurückblickt und aus dem er sich Rosinen herauspicken kann, um daraus Kraft zu schöpfen. Und viertens weiß der alte Mensch, dass es Zeit ist mit sich und mit der Umwelt „zu Frieden“ zu gelangen.

Wenn jemand absolut verweigert, das halb gefüllte Glas anzusehen, weil „es doch gar nicht schön ist alt zu sein; weil früher alles besser war ….“, dann erinnere ich heute ca. 80 Jährige an ihre Jugend und frage sie, ob sie in den Kriegsjahren genug zu essen hatten, ob sie ihre Jugendjahre genießen konnten, ob sie auch nur einen Bruchteil des Wohlstandes hatten, den sie heute haben usw. Schließlich kann man den alten Mensch auch behutsam auf die Tatsache aufmerksam machen, dass er heute bestimmt schon ein Alter erreicht hat, dass in der Generation vor ihm nur wenige erreicht haben. Z. B. kann man ihn fragen an wie viele Menschen seines heutigen Alters er sich erinnern kann, als er ein Kind war.

Wer aber in jungen Jahren die Rezepte für Zufriedenheit nicht kannte, dem wird es vielleicht schwer fallen, sie im Alter anzuwenden.

Tipp: Wenn es nicht gelingt, dass der alte Mensch sich an den positiven Dingen orientiert, die ihm im Laufe seines Lebens widerfahren sind, dann führt es meist zum Erfolg, wenn man ihm die durchgemachten Negativa vor Augen hält, sodass er erkennt, dass es ihm heute relativ gut geht.


[1] SeniorenLexikon, Ernst Hagen, Manz-Druck Wien, 1974

Behandlungswürdige Krankheiten und nicht behandlungswürdige Veränderungen

Im diagnostischen Bereich der Geriatrie wird abgeklärt, ob die Beschwerden des geriatrischen Patienten auf eine behandelbare Krankheit oder auf eine nicht behandelbare Veränderung zurückzuführen sind. Es versteht sich, dass alle behandelbaren Krankheiten nach dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft behandelt werden. Folgende Ausführungen beziehen sich nicht auf die Unterscheidung nach behandelbaren und nicht behandelbaren Krankheiten, sondern auf behandlungswürdige Krankheiten und nicht behandlungswürdige Veränderungen.

Als behandlungswürdig sind alle Krankheiten und Beschwerden (z.B. Schmerzen) einzustufen, deren Therapieerfolg für ein Individuum einen Zuwachs an Lebensqualität bringt. Ob Therapien einem Individuum Nebenwirkungen verursachen oder für einen Patient gar unerwünschte Wirkungen haben, hängt von der Therapiewahl, von der Medikamentendosierung, von der Abwehrlage des Patienten und von dessen Ausgangszustand ab. Ob die behandlungswürdige Krankheit bei einem bestimmten Patienten aber einer (z. B. operativen) Therapie zugeführt wird, hängt vom Ergebnis ab, zu dem behandelnde Ärzte kommen, nachdem sie die Therapierisiken für diesen bestimmten Patienten abgewogen und beurteilt haben. Jedenfalls muss beim Einsatz einer therapeutischen Maßnahme die therapeutische Wirkung die (zu erwartenden) Nebenwirkungen überwiegen.

Nicht behandlungswürdig sind Veränderungen, deren Auftreten im Alter einerseits als physiologisch bezeichnet werden kann und deren Therapie andererseits für das Individuum mehr Nebenwirkungen verursacht als „Mehr an Lebensqualität“ bringt. Als Beispiele solcher Veränderungen seien hier angeführt: Veränderungen der Haut (Altersflecken), des Unterhautbindegewebes (Falten), Nachlassen der Gedächtnisleistung, geistiges Trägerwerden, Änderung des Schlafbedürfnisses, raschere Ermüdbar­keit, Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates uvm.

Eine Sonderstellung nehmen behandlungswürdige Krankheiten ein, bei denen es zu beurteilen gilt, ob der im ausgeheilten Zustand erlangte „Zuwachs an Lebensqualität“ mit einem Vorteil für den Patient einhergeht. Ist es sinnvoll einen verwirrten Patienten an seinen Sturzfolgen zu operieren, wenn ich von vornherein weiß, dass er den Anordnungen für die Rehabilitation notwendigen Bewegungsübungen aufgrund seiner Verwirrtheit nicht wird Folge leisten können? Die Alternative wäre, den Schenkelhals­bruch (genau so wie z. B. einen Schambeinbruch) nicht zu operieren, sondern den Patient schmerzfrei zu halten und den Knochenbruch der Selbstheilung überlassen.

Tipp: Es ist nicht immer zum Vorteil eines Patienten, wenn alles behandelt wird, was behandelt werden kann.

geriatrischen Patient motivieren

Nicht selten findet man ältere Menschen schweigsam, zurückgezogen, sie machen den Eindruck als wären sie geistig abwesend, als könnten oder wollten sie Gesprächen in einer Gesellschaft nicht folgen, als hätten sie alle Interessen verloren oder als hätten sie gar nie irgend welche Interessen oder Hobbys gehabt. Sie signalisieren, keine neuen altersentsprechenden Aktivitäten entfalten zu wollen und sie möchten keine neuen Bekanntschaften oder Freundschaften mit Gleichaltrigen aufbauen.

Macht man ihnen den Vorwurf, nie (auch in jüngeren Jahren nicht) irgend welchen Interessen nach­gegangen zu sein, so tut man ihnen Unrecht. Oft war während des Arbeitslebens einfach keine Zeit für Hobbys, oder es wurden andere Präferenzen gesetzt, wie z. B. die Arbeit selbst, Kinder erziehen oder die Beschäftigung mit Enkelkindern. Jetzt, da sich der Alte „interessenlos“ präsentiert, sind es vielleicht Einschränkungen bedingt durch körperliche, geistige oder soziale Ursachen, die es ihm erschweren oder sogar unmöglich machen eigenen Interessen nachgehen zu können.

Wenn organische, geistige und psychische Ursachen für dieses Verhalten ausgeschlossen sind, lässt sich das „sich zurückziehen“ folgend erklären: Der alte Mensch weiß um sein Alter, seinen Gesundheitszustand und seine Restlebenserwartung Bescheid. Irgendwann beginnt er sein Leben revue passieren zu lassen und dabei Menschen, Dinge und Erlebnisse einzuordnen. Er möchte auch seine Gegenwart so gut wie möglich ordnen, um Ehepartner, Kinder, Enkelkinder, Freunde und Bekannte in seinem Verständnis richtig zu positionieren. Er weiß ja oder er ahnt zumindest, all diese Menschen früher oder später zurücklassen zu müssen. Diese Gedanken sind derart intim und persönlich, dass der alte Mensch niemanden daran teilhaben lassen möchte.

Es wäre falsch sich mit dem Alten in ein Gespräch einzulassen, das er selbst in die Richtung lenkt, aus rationalen Überlegungen heraus die Zustimmung zu bekommen das eigene Leben zu beenden. Auch noch so überzeugend klingende Argumente des Alten sind in der Diskussion möglicherweise sogar ernst gemeint, sie sind aber mit Sicherheit nicht verlässlich. „Ich hatte ein erfülltes Leben, habe gesehen wie meine Kinder und sogar die Enkelkinder beruflich da stehen – ich kann (will) schon gehen …“. Das sind keine Aufforderungen zu Euthanasie oder nach Beihilfe zum Suizid. Es sind meistens „Hilferufe“ des Alten, um ihm „vernünftig“ Klingendes von einem Außenstehenden widerlegt zu bekommen. In jedem (geistig und psychisch gesunden) Mensch ist sein (Über)Lebenswille stärker als jeder andere Gedanke. Und an diesen gilt es – selbst in solchen Gesprächen – zu appellieren.

Tipp:
Will man einen geriatrischen Patient motivieren, geschieht dies am wirkungsvollsten, wenn man sich die Zeit nimmt, ihn in Einzelgesprächen zu fordern

wer ist geriatrischer Patient?

Menschen die Geriatrie konsumieren

Es ist noch nicht so lange her, da galt ein sechzigjähriger Großvater schon als alter Mann und Siebzigjährige wurden als Greise gesehen. Heute hingegen, obwohl beide genannten Altersgruppen zu geriatrischen Patienten zählen, gehören sie noch lange nicht zu den „Alten“. (Anm.: In seinem Vortrag 1991 vor der Österreichischen Juristenkommission sprach der Soziologe Prof. L. Rosenmayr von „jungen Alten“ und „alten Alten“.)

Geriatrischer Patient ist nicht unbedingt jemand der alt ist und an einer Krankheit leidet. Es sind auch gesunde Menschen, die Probleme mit ihrem eigenen Altern oder mit dem Älterwerden ihrer Angehörigen haben.

Wenn ich von Menschen spreche, die Geriatrie konsumieren, so sind damit Gesunde gemeint, die geriatrische Hilfe in Anspruch nehmen bzw. Geriatrie konsumieren (wie z. B. Angehörige von Pflegefällen).

Bei geriatrischen Patienten unterscheide ich 2 Altersgruppen.

Die jüngere Gruppe der geriatrischen Patienten im Alter von 45 bis 65 Jahren.

Sofern sie arbeitslos sind sehen sie sich aufgrund der Unvermittelbarkeit am Arbeitsmarkt mit denselben psychischen Problemen konfrontiert wie die ältere Gruppe geriatrischer Patienten, die wegen Erreichens des Pensionsalters aus dem Arbeitsprozess ausscheiden (mussten).

Oder sie zählen deshalb zu geriatrischen Patienten, weil sie aufgrund mehrerer Zivilisationserkrankungen (Veränderungen des Stütz- und Bewegungsapparates, wegen Stoffwechselerkrankungen, Fehlernährung, übermäßigen Alkohol- und Nikotinkonsums) arbeitslos sind und als multimorbid einzustufen sind. Viele Studien belegen, dass besonders in dieser Gruppe psychische Probleme auch somatische (körperliche) Beschwerden hervorrufen und sogar organische Krankheiten zur Folge haben können.

Arbeitende 45 – 65Jährige suchen Geriater auf, weil sie mit geriatrischen Problemen der Eltern besser zu Recht kommen wollen. Menschen die geboren wurden als ihre Eltern schon 40 Jahre oder noch älter waren, werden künftig vielleicht auch schon im zarten Alter von 20 Jahren geriatrischen Rat in Anspruch nehmen müssen.

65Jährige sind die Grenze zwischen den beiden Altersgruppen. Dabei zählt aber nicht das kalendarische Alter, sondern das individuelle Pensionsantrittsdatum (ca. im 65. LJ) (vgl. „Pension“).

Die ältere Gruppe der geriatrischen Patienten ist älter als 65 Jahre.

Auch hier sind Untergruppen zu unterscheiden. Einerseits rüstige oder auch kränkelnde aber aktive Pensionisten (Rentner).

Andererseits Personen, die aufgrund körperlicher, geistiger u/o infolge psychi­scher Veränderungen pflege-, hilfs- od. betreuungsbedürftig sind.

Die medizinische Antwort auf das Älterwerden der Menschheit beginnt nicht erst bei Rosenmayr’s „jungen Alten“, auch nicht bei den „alten Alten“ oder gar erst dort, wo jemand schon Pflege braucht, sondern viel früher – Geriatrie beginnt bereits „bei der Lesebrille“ (vgl. „wann beginnt Geriatrie“).

Diagnose(n) aus dem Internet

Will man im Internet aufgrund von Beschwerden die passende Diagnose finden, dann sollte man speziell bei geriatrischen Patienten folgendes berücksichtigen.

Die Beschwerden geriatrischer Patienten sind meist multifaktoriell bedingt. Das heißt, die für das Vollbild der Beschwerde verantwortlichen Faktoren haben ihre Ursachen nicht nur in mehreren Krankheiten (Multimorbidität) und müssten von verschiedenen Fachärzten behandelt werden, sondern haben oft auch Ursachen ohne medizinischen „Krankheitswert“ (vgl. „Zustandsbilder“).

Daraus ergibt sich, dass es zumeist nicht ein Spezialist (bzw. Facharzt für bestimmte Krankheiten) sein wird, der die Beschwerden eines geriatrischen Patienten zufriedenstellend behandeln kann. Denn die richtige Diagnose fällt meist in verschiedene medizinische Spezialfächer, oder die Beschwerde ergibt sich als Summe von mehreren Diagnosen.

Ein Beispiel soll zeigen, wie komplex das Herausfinden von Ursache(n) sein kann: Eine Dame klagt über häufige Kopfschmerzen – gelegentlich auch von Schwindel begleitet. Theoretisch gibt es für diese Be­schwerden mehr als 20 Möglichkeiten aus 9 verschiedenen medizinischen Fächern, wobei nicht Organ-bezogene Ursachen wie z. B. „Wetterfühligkeit“ noch gar nicht berücksichtigt sind:

Augenheilkunde: Lesebrille, Augendrucksteigerung (Glaukom); Chirurgie: neurolog. Ursache (Trigeminus/Occi­pitalis) bedingt durch Lipom/Fibrom etc.; Gynäkologie: hormonell durch (hormonproduzierenden) Tumor, hormo­nell (durch PMS, Wechselbeschwerden); HNO: otogen (vom Ohr ausgehend), chron. Stirnhöhlenentzündung; Interne: Anämie (Ursache?), Migräne, Blutdruckschwankungen (Ursache(n) der Blutdruckschwankungen), cardial (vom Herz ausgehend), Nitratkopfschmerz (durch ein Medikament bedingt), Migräne, Diabetes mellitus Typ II, vaskulär (gefäßbedingt), Flüssigkeitsmangel mit folgender Elektrolytstörung; Neurochirurgie: Tumor im Gehirn; Neurologie & Psychiatrie

: neurolog. Ursache (Trigeminus/Occipitalis), HWS, Migräne, stressbedingt, chron. Übermüdung, somatisieren im Rahmen einer Depression (Ursache der Depression?); Orthopädie: HWS; Zahnheilkunde: Zahn- Kieferbereich

Vorausgesetzt die Patientin kennt die genannten Differentialdiagnosen bzw. sie hat sich aus dem Internet mehrere Möglichkeiten herausgeschrieben, und suchte auch eigenständig alle neun Fachärzte auf, dann wurde sie bestimmt mehrmals ins Labor zu Blutabnahmen geschickt, es wurden sicherlich mehrere Rönt­genaufnahmen gemacht und einige Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren (CT, MRI, US-Doppler) durchgeführt. Trotzdem wird ihr wahrscheinlich keiner der Fachärzte ihre Beschwerden genommen haben, wenn der Kopfschmerz das Resultat von mehreren dieser hier genannten möglichen Ursachen ist. (vgl. Wegweiser durch die vielfältig gewordene Medizin)

Die richtige Diagnose zu stellen und sie dem Patient mitzuteilen ist das Eine, die dafür notwendige Thera­pie zu kennen ist das Andere und die Verantwortung dafür zu tragen ist das Dritte.

Tipp:
1. Diagnostik ist ärztliche Kunst, der viel Erfahrung zugrunde liegt.
2. Es macht keinen Sinn Ursachen (die es nicht gibt) zu suchen, nach deren Beseitigen mit „einem Schlag“ alles wieder gut wäre.