Maschinen erhalten Leben

Es gibt auch gar nicht so selten das Szenario, dass Menschen infolge „heroischer“ Rettungsmaßnahmen z.B. einen Schlaganfall zwar überleben, aber für den Rest ihres Lebens nicht mehr denken oder sprechen können, gelähmt, bettlägerig und pflegebedürftig bleiben, das heißt völlig von anderen Menschen abhängig sind. Ich sehe dieser Entwicklung – das Sterben durch Medizintechnik gewaltsam zu verlängern – mit Sorge entgegen und fürchte gleichzeitig, dass sie auch nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. (vgl. meine Artikel Lebensende-Sterben; Sterben-Tod)

 

Tipp: In der Natur jedes geistig gesunden Menschen liegt es, gesund bleiben zu wollen, im Krankheitsfall wieder gesund werden zu wollen und – generell – am Leben bleiben zu wollen.

Therapie ohne Diagnostik

In wohl keinem anderen medizinischen Fach wäre es legitim, wenn Ärzte ihre diagnostische Tätigkeit einschränken oder sogar gänzlich einstellen, zugunsten eines therapeutischen Bereiches. Das heißt, sie würden sich nicht (mehr) mit Diagnostik beschäftigen, obwohl der Patient Beschwerden hat. In der Geri­atrie sehe ich eine solche Trennung aber nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar unumgänglich.

In der Geriatrie steht am Ende diagnostischer Prozesse oft die Erkenntnis, dass Veränderungen vor­liegen, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Das kann z. B. sein: Abnützungserscheinung (an Knor­peln, Knochen und Gelenken), chronische Krankheit(en), atherosklerotische Veränderungen der Gefäße, degenerative Veränderungen an verschiedenen Organen (z. B. Augen, Geschmackspapillen, Haut etc.), Demenzen oder auch unheilbare Krankheiten. Ab jetzt geht es nicht mehr um „Diagnose stellen“ oder um „Ursachen finden“ sondern um ein Handeln (= Behandeln), das dem Patienten, Angehörigen und Pfle­genden Nutzen bringt. Bei einem nicht mehr besserungsfähigen Zustand (z. B. Demenz) ist es weder für den Patient noch für dessen Angehörige oder für das Pflegepersonal wichtig was die Ursache war – weil das therapeutisch ja auch gar keinen Unterschied macht. Ob die Demenz bei diesem Patient als Rest­zustand einer Meningo-Encephalitis zurückgeblieben ist, ob sie durch ein Schädel-Hirn-Trauma ausgelöst wurde, ob es sich um eine Demenz vom Alzheimer-Typ, um eine atheriosklerotische Demenz oder um die Spätfolgen eines chronischen Alkoholismus handelt – es ist für den nicht mehr besserungsfähigen Zustand „Demenz“ aber auch für Patient, Angehörige und Therapiewahl völlig unbedeutend.

Jetzt kommt es also nicht mehr auf Diagnostik an – auch nicht wenn sie noch so viele Ärzte wiederholen, sondern auf die Behandlung. Sehr genau wissend, dass die Behandlung nicht mehr zur Verbesserung der gesundheitlichen Veränderung führen wird. Keine Operation, kein Medikament, kein Gedächtnistraining, keine physio-, ergo-, musik- oderverhaltenstherapeutische Maßnahme wird die Demenz „bessern“ oder gar zum Verschwinden bringen können. Dennoch aber kann entsprechendes geriatrisch-therapeutisches Handeln – ohne weitere Diagnostik – für alle Beteiligten ein deutliches „Plus an Lebensqualität“ bringen.

Das Gleiche, nämlich dass Differenzialdiagnostik überflüssig ist, gilt für viele andere Krankheiten im hö­heren Alter. Stellvertretend seien Gelenksdeformationen genannt, die man unschwer mit einem Blick erkennen kann. Es ist zwar von größter Bedeutung dass der Patient keine Schmerzen leidet, aber es ist wirklich nebensächlich ob Rheuma, Vitaminmangel, Gicht oder andere degenerative Prozesse die ur­sprüngliche Ursache(n) für die schon seit vielen Jahren verformten Gelenke waren. (vgl. mein Artikel Wegweiser)

Tipp: Es macht keinen Sinn nach Ursachen zu suchen, nach deren Beseitigen alles wieder gut wäre, denn solche Ursachen gibt es nicht.

soziale Indikation

Weil Patienten zuhause nicht ausreichend ernährt oder hygienisch versorgt werden können, werden sie unter dem Titel „soziale Indikation“ in ein Akutspital eingewiesen oder (oft monatelang) im Spital behalten.

Sollte „soziale Indikation“ für Spitalseinweisung und für übergebührlich lange Spitalsaufenthalte verboten sein, statt dessen aber die Überstellung des Patienten in ein Pflegeheim/auf einen Pflegplatz möglich (bzw. zwingend notwendig) sein?

„defensive medicine“ (2)

Um sich vor ungerechtfertigten Angriffen durch Kollegen, vor Schadenersatz fordernden Anwälten und um sich vor negativen Urteilen zu schützen betreiben Ärzte „defensive medicine“. Dazu gehört auch, sterbende, geriatrische Patienten ins Spital einzuweisen, um keine „unangenehmen“ Fragen beantworten zu müssen oder in Erklärungsnotstand zu geraten.

Finden Sie dieses Vorgehen besser, auch wenn dem Sterbenden dadurch noch zusätzliches Leid zugefügt wird, oder meinen Sie, dass der geriatrische Patient ‚trotz Anwesenheit eines Arztes‘ auch zuhause in Ruhe sterben darf – ohne dass dem Arzt dafür (auch nur versuchsweise) eine „Schuld“ zugewiesen werden darf?

„defensive medicine“ (1)

Um sich vor ungerechtfertigten Angriffen durch Kollegen, vor Schadenersatz fordernden Anwälten und um sich vor negativen Urteilen zu schützen betreiben Ärzte „defensive medicine“. Dazu gehört auch, geriatrische Patienten ins Spital einzuweisen, um sich jeglicher ärztlicher Verantwortung zu entledigen.

Sollen Ärzte einen Patient ins Spital schicken dürfen, obwohl sie wissen, dass ihm dort nicht zu höherer Lebensqualität verholfen werden kann, dass er aber sowohl durch die Spitalseinweisung als auch durch die dort gemachten Untersuchungen zusätzliches Leid ertragen muss und im Gesund­heitszustand des Patienten womöglich sogar Verschlechterung eintritt?