Diagnose(n) aus dem Internet

Will man im Internet aufgrund von Beschwerden die passende Diagnose finden, dann sollte man speziell bei geriatrischen Patienten folgendes berücksichtigen.

Die Beschwerden geriatrischer Patienten sind meist multifaktoriell bedingt. Das heißt, die für das Vollbild der Beschwerde verantwortlichen Faktoren haben ihre Ursachen nicht nur in mehreren Krankheiten (Multimorbidität) und müssten von verschiedenen Fachärzten behandelt werden, sondern haben oft auch Ursachen ohne medizinischen „Krankheitswert“ (vgl. „Zustandsbilder“).

Daraus ergibt sich, dass es zumeist nicht ein Spezialist (bzw. Facharzt für bestimmte Krankheiten) sein wird, der die Beschwerden eines geriatrischen Patienten zufriedenstellend behandeln kann. Denn die richtige Diagnose fällt meist in verschiedene medizinische Spezialfächer, oder die Beschwerde ergibt sich als Summe von mehreren Diagnosen.

Ein Beispiel soll zeigen, wie komplex das Herausfinden von Ursache(n) sein kann: Eine Dame klagt über häufige Kopfschmerzen – gelegentlich auch von Schwindel begleitet. Theoretisch gibt es für diese Be­schwerden mehr als 20 Möglichkeiten aus 9 verschiedenen medizinischen Fächern, wobei nicht Organ-bezogene Ursachen wie z. B. „Wetterfühligkeit“ noch gar nicht berücksichtigt sind:

Augenheilkunde: Lesebrille, Augendrucksteigerung (Glaukom); Chirurgie: neurolog. Ursache (Trigeminus/Occi­pitalis) bedingt durch Lipom/Fibrom etc.; Gynäkologie: hormonell durch (hormonproduzierenden) Tumor, hormo­nell (durch PMS, Wechselbeschwerden); HNO: otogen (vom Ohr ausgehend), chron. Stirnhöhlenentzündung; Interne: Anämie (Ursache?), Migräne, Blutdruckschwankungen (Ursache(n) der Blutdruckschwankungen), cardial (vom Herz ausgehend), Nitratkopfschmerz (durch ein Medikament bedingt), Migräne, Diabetes mellitus Typ II, vaskulär (gefäßbedingt), Flüssigkeitsmangel mit folgender Elektrolytstörung; Neurochirurgie: Tumor im Gehirn; Neurologie & Psychiatrie

: neurolog. Ursache (Trigeminus/Occipitalis), HWS, Migräne, stressbedingt, chron. Übermüdung, somatisieren im Rahmen einer Depression (Ursache der Depression?); Orthopädie: HWS; Zahnheilkunde: Zahn- Kieferbereich

Vorausgesetzt die Patientin kennt die genannten Differentialdiagnosen bzw. sie hat sich aus dem Internet mehrere Möglichkeiten herausgeschrieben, und suchte auch eigenständig alle neun Fachärzte auf, dann wurde sie bestimmt mehrmals ins Labor zu Blutabnahmen geschickt, es wurden sicherlich mehrere Rönt­genaufnahmen gemacht und einige Untersuchungen mit bildgebenden Verfahren (CT, MRI, US-Doppler) durchgeführt. Trotzdem wird ihr wahrscheinlich keiner der Fachärzte ihre Beschwerden genommen haben, wenn der Kopfschmerz das Resultat von mehreren dieser hier genannten möglichen Ursachen ist. (vgl. Wegweiser durch die vielfältig gewordene Medizin)

Die richtige Diagnose zu stellen und sie dem Patient mitzuteilen ist das Eine, die dafür notwendige Thera­pie zu kennen ist das Andere und die Verantwortung dafür zu tragen ist das Dritte.

Tipp:
1. Diagnostik ist ärztliche Kunst, der viel Erfahrung zugrunde liegt.
2. Es macht keinen Sinn Ursachen (die es nicht gibt) zu suchen, nach deren Beseitigen mit „einem Schlag“ alles wieder gut wäre.

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