Pflegebedarf in Stunden

Pflegegeld ist für pflegebedürftige Personen vorgesehen. Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten. [vgl. § 1 Bundespflegegeldgesetz (BPGG)]. Oft wird aber unrichtigerweise interpretiert, dass Pflegegeld eine finanzielle Abgeltung für zu ertragende Schmerzen und Leiden sei, oder dass bestimmte Diagnosen bzw. hohes Alter automatisch einen Pflegegeldanspruch auslösen.

Auf „offiziellen“ Websites (z.B. help.gv.at, Sozialministerium, Bundessozialamt etc.) findet man zwar rasch die Information wie viel Pflegebedarf in Stunden pro Monat für welche Stufe notwendig ist. Doch wer einzelne Stundenwerte kennen will um den Gesamtpflegebedarf zu berechnen, der muss schon länger suchen. Der Begriff „Pflegebedarf“ umfasst Hilfen, Betreuungsleistungen und unter bestimmten Voraussetzungen auch den Erschwerniszuschlag.

Für die Einstufung sind nicht Zeiten maßgeblich, die man individuell für Pflegebedürftige aufwendet, sondern es zählen die im Pflegegeldgesetz festgelegten Stunden.

Lassen Sie mich das an einem Beispiel erklären: Nehmen wir an, eine alte Dame muss zum ‚Einkaufen gehen‘ begleitet werden. Vielleicht weil sie sich mit dem Geld nicht mehr verlässlich auskennt, weil es im Haus keinen Lift gibt, weil sie schwindlig ist und deshalb nur mit Rollator gehen kann, weil sie (z.B. wegen Schmerzen) nichts tragen kann; sie geht schon schlecht und braucht für den Weg bis zum Supermarkt 30 Minuten. Die Entscheidung was heute eingekauft werden soll, die Wegstrecken im Supermarkt, das Warten an der Kassa und der Weg zurück nach Hause nehmen alles in allem fast 2 Stunden in Anspruch. Begleitet man die Dame auch nur jeden 2. Tag zum Einkaufen, so ergibt das alleine ca. 30 Stunden im Monat.

So verständlich der Standpunkt der Angehörigen dieser Dame ist und so groß deren Bedürfnis ist, dem Gutachter die Rechnung für diese und für viele andere Hilfen im Detail darzulegen, so erfolglos muss die Rechnung aber bleiben. Denn auf der anderen Seite steht das Gesetz, nach welchem das Gutachten erstellt wird.

Um alle gleich zu behandeln sagt das Gesetz folgendes: Solch eine Dame kann Nahrungsmittel, Medikamente und Bedarfsgüter des täglichen Lebens nicht mehr selbst herbeischaffen, also braucht sie dafür Hilfe. Bei einem gesunden Mensch dauert die Dienstleistung ‚Einkaufen‘ 10 Stunden pro Monat (Zukaufen der Dienstleistung). Also darf der Gutachter dafür auch nicht mehr als die gesetzlich vorgegebenen 10 Stunden/Monat in den Gesamtpflegebedarf einrechnen. Die im BPGG für diverse Verrichtungen angeführten Stundensätze wurden von einer Expertengruppe erarbeitet (ihr gehörten u. a. Pflegepersonal, ärztliche Sachverständige und Behindertenvertreter an) und sie entsprechen auch dem tatsächlich notwendigen Zeitaufwand.

Aber selbst bei Kenntnis der einzelnen Stundensätze ist es nicht ratsam (heute aber auch nicht mehr notwendig, weil es im Internet Pflegestufenrechner gibt) selbst zu versuchen die Pflegestufe zu ermitteln. Dafür bedarf es nämlich mehr als bloß einer Additions­rechnung. Es genügt nicht zu behaupten „er/sie kann nichts mehr selber machen“, „er/sie braucht für alles Hilfe“, „man kann ihn/sie nicht mehr alleine lassen“, oder „er/sie braucht rund um die Uhr jemanden“. Behauptete Funktionsdefizite oder notwendige Hilfen bzw. Betreuungsleistungen müssen medizinisch zu erklären sein.

Es bedarf also auch medizinischen Wissens um Pflegebedarf richtig zu berechnen. Und weil für manche Hilfsleistungen ein Fixwert anzuwenden ist, für andere Betreuungsleistungen das Gesetz aber einen Rahmen vorsieht in welchem sich die Leistung bewegen kann, ist hierfür wiederum Erfahrung erforderlich.

Nur speziell ausgebildete Gutachterärzte (seit 2012 darf auch speziell geschultes Pflegepersonal für Nachbegutachtungen herangezogen werden) können und dürfen Einstufungen nach dem BPGG vornehmen, denn dazu muss man 1. das Gesetz, die Verordnungen und höchstgerichtliche Entscheidungen kennen. 2. Man braucht medizinisches Wissen um die Hilfsbedürftigkeit richtig zu argumentieren und 3. jeder Einstufungsvorschlag (wie ihn von der PV beauftragte Gutachter machen) muss in einem schlüssigen Gutachten dargelegt sein, das alle Kriterien erfüllt nach welchen medizinische Gutachten zu erstellen sind. Nach eben diesen Kriterien prüfen in der PV auch Oberbegutachter den Einstufungsvorschlag und erst danach wird er der Leistungsabteilung zur Entscheidung vorgelegt.

In Österreich ist Vieles so kompliziert, dass einfache Bürger kaum dahinter kommen, wie man das legal mögliche Optimum herausholt. Beispiele dafür sind nicht nur das Pflegegeldgesetz sondern auch Steuer- und Pensionsrecht mit ihren vielen „wenn“ und „aber“. Ich finde, der Bürger muss ja nicht selbst ein Gutachten erstellen können, er darf meines Erachtens aber ungefähr wissen welche Pflegestufe einem bestimmten Zustand eines Pflegebedürftigen entsprechen kann.

Ich sah es als Herausforderung einen Algorithmus zu finden, nach welchem mit relativ hoher Verlässlichkeit die richtige Pflegestufe berechnet werden kann. Obwohl ich die Erfahrung aus tausenden bereits erstellten Gutachten mitbrachte war die Aufgabe gar nicht einfach. Neben den oben beschriebenen Fakten kam noch einiges hinzu: Zunächst musste ich festlegen welche Fragen auf die im Gesetz genannten Hilfs- oder Betreuungsdienste Bezug nehmen. Dann waren die Fragen derart zu formulieren, dass es nur eindeutige Antworten gibt, weil sonst keine Berechnung möglich ist. Und schließlich müssen Antworten die richtige Anzahl von Betreuungsstunden in die Berechnung aufnehmen während andere Antworten die Richtigkeit verifizieren, eingrenzen oder wieder rückgängig machen, dort wo das Gesetz eine „von bis“ Bandbreite zulässt.

Das Ergebnis meiner Herausforderung findet man bei www.pflegestufen.at.

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