klinische und praktische Geriatrie

Eine wissenschaftliche Herangehensweise an Geriatrie war in Österreich schon längst überfällig. Seit 1.10.12 gibt es auch in Wien eine Professur für Geriatrie, die Hr. Prof. Marcus Köller im Geriatriezentrum Sophienspital ausübt (vgl. Professur für Geriatrie).

Was bedeutet das nun für geriatrische Patienten, die nicht ins Spital und nicht in ein Pflegeheim gebracht werden wollen, sondern mit Altenmedizin in ihren eigenen vier Wänden versorgt werden möchten? Wie und wann kommen alte, mehrfachkranke (multimorbide), bettlägerige, chronisch Kranke – oft auch Pflegefälle (vgl. Pflegefall) genannt – in den Genuss von Geriatrie?

Den Arzt für Allgemeinmedizin (früher praktischer Arzt) durch Spezialisten zu ersetzen und so den Hausarzt „aussterben“ zu lassen, das hat das Gesundheitssystem schon geschafft, wenngleich dafür ein horrender Preis bezahlt wird („Selbstzuweisung“ zu Fachärzten, Mehrfachuntersuchungen, Doppel- und Dreifachverordnen von Medikamenten, Spitalseinweisungen etc.). Ich bezweifle ob das System die finanziellen Ressourcen dafür wird aufbringen können, die notwendig sein werden, wenn Betagten praktische Geriatrie vorenthalten wird, und der Bevölkerung nur klinische Geriatrie gezeigt wird. Der Pflegefall ist meist immobil und kann deshalb nicht zum Arzt gehen. Fachärzte machen schon längst keine Hausbesuche mehr und Ärzte für Allgemeinmedizin, die zwar noch Hausbesuche machen, können und wollen aus verschiedensten Gründen (vgl. defensive medicine) die Verantwortung nicht tragen, chronisch Kranke zuhause zu behandeln. Klinische Geriater werden in Bezug auf Visitentätigkeit bestimmt mit Fachärzten konform gehen, d.h. klinische Geriater werden keine Hausbesuche machen.

Solange praktische Geriatrie (außerhalb von Spital und Pflegeheim angewandte Geriatrie) nicht genü­gend verbreitet ist, müssen Pflegefälle wohl oder übel immer in eine Institution (Spital oder Pflegeheim) gebracht werden, um adäquate Behandlung (mit aktueller Geriatrie) zu bekommen. Das wiederum hat schwerwiegende Auswirkungen auf den alten Menschen, (vgl. Spital – das Beste?), auf seine Familie und damit auch auf die Gesellschaft, und verursacht hohe Kosten im Gesundheits- u/o Sozialsystem.

Tipp: Änderung der Ärzteausbildungsordnung (Facharzt für praktische Geriatrie mit zwingender Ver­pflichtung Hausbesuche zu machen), Imageaufwertung und gesetzliche Rahmenbedingungen für praktische Geriatrie [Patientenverfügung, Unterscheidung zwischen Sterbebegleitung (palliativ­medizinische Behandlung) einerseits und Sterbehilfe oder Euthanasie andererseits].

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert