Bedeutung der Praktiker

Unter Praktiker verstehe ich Ärzte, die außerhalb von Spitälern, ohne großen Untersuchungsaufwand den Großteil der bei ihren Patienten auftretenden Krankheiten diagnostizieren und behandeln. Ihr Wissen und ihre Erfahrung ermöglichen auch beim kleinen Rest der Krankheiten (nämlich bei jenen, die von Spezialisten oder in Spitälern behandelt werden müssen) ein Screening, das rasch zur richtigen Diagnose führt und gleichzeitig ökonomische Aspekte berücksichtigt.

Schon vor mehr als 40 Jahren ging Doz. R. Braun der Frage nach, weshalb Patienten in den USA und Mitteleuropa direkt zum Facharzt gingen, ohne zuvor den Allgemeinarzt aufzusuchen. Er beschrieb das Phänomen bei Erkrankungen von Kindern, bei den so genannten Frauenleiden sowie bei Gesundheits-störungen am Auge[1]. Braun begründete die direkte Konsultation der Fachärzte mit der fehlenden Monopolstellung des Allgemeinmediziners, wie sie damals im britischen Gesundheitsdienst üblich war.

Retrospektiv betrachtet erscheint mir der Grund – weshalb Patienten direkt zum Facharzt gingen – eher darin gelegen, dass Laien die genannten Gesundheits-veränderungen auch schon vor 40 Jahren (ohne Screening des Allgemeinmedi-ziners) den richtigen Fachgebieten zuordnen konnten. Der selbe Grund aber, nämlich dass Laien zu wissen glaubten, Symptome nach ihrer Wichtigkeit beurteilen oder einem medizinischen Fachgebiet zuordnen zu können, schwächte generell die Position der Allgemeinmediziner und damit die Bedeutung des Praktikers.

Im urbanen Bereich gibt es den „guten alten Hausarzt“ kaum mehr, der ohne viel Medizintechnik Diagnosen zu stellen vermag, Krankheiten aus den unter-schiedlichsten Fachgebieten behandelt und bereit ist die Verantwortung für sein medizinisches Handeln wie auch für etwaiges Zuwarten zu tragen. Gleichzeitig informieren alle Medien – von Printmedien bis zum Internet – über Gesundheit oder sie bringen zumindest regelmäßig Gesundheitsthemen. Das macht den Laien glauben, auch er selbst kennt medizinische Zusammenhänge oder Zugehörigkeiten. Unterstützt durch die eCard nimmt das „Selbst­zuweisen“ zu Fachärzten zu und verursacht übergebührliche Kosten für das Gesundheitswesen.

So erklärt sich unter anderem die wachsende Bedeutungslosigkeit der Allgemeinmediziner in den Augen der Laienbevölkerung. Auch durch die Berufsbezeichnung – wo es den Facharzt für Allgemeinmedizin gar nicht gibt – wird der „Arzt zweiter Klasse“ deutlich gemacht. Der aus seinen an sich wichtigen medizinischen Aufgaben verdrängte Allgemeinmediziner wurde dazu verpflich-tet, krankheits- und patientenoptimierte Behand­lungs- und Verschreibweise der Fachärzte in eine kommerzielle, dem Budget der Sozialversicherer angepasste Verschreibweise umzuwandeln. Der Arzt für Allgemeinmedizin darf zwar, wenn er möchte, noch ärztlich tätig sein, bezahlt wird er aber hauptsächlich für die Einhaltung der Ökonomie des Sozialversicherungswesens. (Anm.: Die Diskussion darüber, wie adäquat die Ausbildung der Allgemeinmediziner zur Erfüllung dieser neuen Aufgaben ist, würde den Rahmen dieses Artikels ebenso sprengen wie das Hinterfragen, wie gewichtig hierdurch möglich werdende Einsparungen im Gesundheitswesen sind.)

Tipp: Finanzielle Ressourcen des Gesundheitswesens könnten besser genützt werden, wenn man Voraussetzungen schafft, die es (insbesondere in der Geriatrie) ermöglichen wieder auf Leistungen von Praktiker zurückgreifen zu können.

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